Den Fall Popov wird es nicht mehr geben
Es ist drei Uhr morgens, und wirklich gemütlich ist eine Garage um diese Uhrzeit nicht. Der Shooting-Star der deutschen Golfszene, Sophia Popov, sitzt im Neonlicht. Pressetermine hat sie seit ihrem Sieg bei der AIG Women’s Open im Sommer 2020 schon reichlich gehabt. Die Jahrespressekonferenz des DGV, zu der sie Anfang Februar zugeschaltet ist, fällt für eine Sportlerin, die in den USA lebt, eben mitten in die Nacht. Wer international Aufsehen erregt wie die 28jährige mit ihrer Cinderella-Story, ist viel gefragt – erst recht in Deutschland, wo Majorsieger Mangelware sind. Mit dem Erfolg, mit dem Preisgeld und neuen Sponsorenverträgen kommen die Verpflichtungen. Das braucht Gewöhnung.
Flexibilität ist entscheidend in dieser Phase. Schließlich ist für Sophia Popov alles anders in diesem Jahr: Sie hat eine unbegrenzte Spielberechtigung auf der LPGA Tour, ist bei allen Major-Turnieren qualifiziert. Sie steht so gut wie sicher im deutschen Olympia-Team und auch beim Solheim Cup im September führt wohl kein Weg an ihr vorbei. Mit dem britischen Finanzdienstleister AIG hat sie einen neuen Sponsor gefunden, Geld ist kein Problem mehr. Ein eigener Trackman für verbessertes Training war eine ihrer ersten Investitionen.
Im Kopf ist alles anders
Die wesentliche Veränderung aber ist eine mentale. Es ist das Gefühl auf der LPGA Tour „dazuzugehören“, statt zu jenen zu zählen, die wöchentlich hin- und herwechseln zwischen kleinen Turnieren der Symetra Tour und den niedrig dotierten Veranstaltungen auf der erstklassigen LPGA. Das Hoffen auf Wildcards, Nachrücker-Plätze, Qualifikationen hat ein Ende. Das Thema Planungsunsicherheit, das die letzten vier Jahre ihrer Karriere geprägt hat, betrifft 2021 ganz andere Fragen wie: „Findet Olympia überhaupt statt, und wie muss ich meine Turnierplanung dahingehend gestalten.“ Auch das erfordert Flexibilität – aber die ist weit weniger anstrengend als das ewige Strampeln um die LPGA Tourkarte.
„Jetzt habe ich das Gefühl, ich kann Turniere gewinnen“, resümiert die 28jährige denn auch bei der Pressekonferenz aus ihrer Garage heraus. „Mein Golf ist gut genug, es muss nur noch zwischen den Ohren klappen.“ Gute Ergebnisse liefern die Basis für ein neues Selbstverständnis: Seit ihrem Sieg bei der AIG Women’s Open hat sie keinen Cut mehr verpasst, viermal landete sie unter den Top 25.
Popovs Fall bewirkt Regel-Änderungen auf der LPGA
Vor allem aber hat sie selbst auch die LPGA Tour langfristig verändert: Der Überraschungssieg der Deutschen vom vergangenen Sommer hat am Montag neue Regularien der größten Profitour der Damen bewirkt. Einen Popov-Fall soll es bei der LPGA nicht mehr geben. Als die Deutsche die AIG Women’s Open in Schottland gewann, war sie kein offizielles Mitglied der LPGA Tour und deshalb beim nächsten Major-Turnier nicht qualifiziert.
Ab sofort aber führt ein Majorsieg bei jeder Spielerin dazu, dass sie fünf Jahre eine Spielberechtigung auf der LPGA Tour erhält anstatt zwei wie noch bei Sophia Popov der Fall. Außerdem bekommt man nach einem Turniersieg sofort die LPGA Mitgliedschaft und damit auch eine Startberechtigung für das nächste Turnier angeboten. Und: Preisgeld und Punkte vom Turniersieg zählen sofort für die LPGA Rangliste, was Sophia Popov einen Startplatz beim nächsten Major verschafft hätte. Sie selbst war bei dem Turnier ANA Inspiration 2020 nur Zuschauerin. Wobei nicht allein sie unter den LPGA Regeln des Jahres 2020 litt, sondern auch die Südkoreanerin A. Lim Kim, die bei der US Women’s Open gewann. Auch sie war kein Mitglied der LPGA Tour.
Gefragt ist der selbständige Athlet
Die Kritik von Spielern, Fachleuten, vielen Journalisten an diesen Regeln war groß – für Sophia Popov war das Beharren der LPGA sicher eine Lektion. Egal wie überraschend, wie aufsehenerregend ein Sieg auch sein mag – an den Regeln der Tour ist nicht zu rütteln – so die Botschaft von Geschäftsführer Mike Whan. Am Ende bleibt jeder Spieler auf sich selbst gestellt. Was hilft, ist der ständige Erfolg. Gefragt ist der selbständige Athlet, der seinen Erfolg selbst gestaltet.
Auch deshalb sitzt Sophia Popov um drei Uhr morgens in der Garage. Wohl wissend, dass Erfolg ein flüchtiges Element sein kann. Wer Jahre darum gekämpft hat, in die Gruppe jener Stars vorzudringen, die immer gehört werden, weiß wie wichtig es ist, die eigene Sichtweise, die Leistung, die Ziele selbst zu erklären. Auch um drei Uhr morgens.