Bernhard Langer hört nicht auf zu siegen

Einmal traf ich ihn kurz vor Einbruch der Dunkelheit: Der Rummel vor dem Clubhaus des Augusta National Golf Clubs hatte sich gelegt. Die US-Flagge vor dem Gebäude hing schlapp herab. Kein Luftzug ging, endlich herrschte Stille am Ende eines wie immer lauten und aufgeregten Turniertages. Das Ende der Driving Range war im ausgehenden Licht nur noch schwer zu erkennen, kein Spieler weit und breit war nach diesem ersten Spieltag des US Masters, des ersten Majorturniers im Jahr, in Sicht. Nur Einer stand im Übungsbunker und spielte methodisch die Bälle heraus – weich und hoch. Weich und hoch. Immer wieder. Endlos oft. Im Golfsport gibt es nur zwei Personen, die für solch‘ eine Situation als Hauptdarsteller in Frage kommen: Vijay Singh und Bernhard Langer. Die Unermüdlichen, die Endlos-Trainierer. Zwei Profis auf der permanenten Suche nach der Perfektion.

An diesem Abend im April war es Bernhard Langer, der an seinem Bunkerspiel arbeitete. Man hat den Deutschen wegen seiner methodischen Herangehensweise an dieses Spiel, seiner immerwährenden Suche nach einem passenden Schwung und wegen seiner deutschen Herkunft oft den ultimativen Mechaniker genannt. Aber wer ihn an diesem Abend beobachtete, fühlte sich eher an pures Zen erinnert als an das sture Abarbeiten eines Bewegungsmechanismus. In diesem Moment schien Langer eins mit seinem Spiel zu sein – und drumherum verschwand Augusta National in der Dämmerung.

Es gibt viele Gründe, Golfprofi zu werden: Das Sammeln von Titeln, der Gewinn von Millionen an Preisgeldern, der Ruhm und das Ansehen der Öffentlichkeit. In einigen wenigen Fällen ist es die pure Leidenschaft für den Sport, die einen Spieler über Jahrzehnte an den Profisport bindet. Bernhard Langer gehört in diese Kategorie. Wer den Kreis seiner Kollegen betrachtet, wird feststellen, dass von all‘ jenen Stars, die seine mehr als 40jährige Karriere mitgeprägt haben, nicht viele geblieben sind, mit denen er noch heute bei den Turnieren weltweit die Runden dreht. Nick Faldo, sechsfacher Majorsieger, ist TV-Kommentator und auf dem Platz nicht mehr konkurrenzfähig. Der brillante Spanier Seve Ballesteros starb 2011 an einem Gehirntumor. Sandy Lyle und Ian Woosnam, die alten Recken aus Großbritannien, haben sich auf ihr Altenteil zurückgezogen. Zusammen mit Bernhard Langer ergaben sie ab 1979 die Big Five – jene fünf Spieler, die Europas Golfsport international wettbewerbsfähig machten, Majorsiege holten und die lange Dominanz der Amerikaner in der Profiszene beendeten. Als aktiver Spieler aus dieser Gruppe ist nur Langer geblieben, den der Golfsport noch heute genauso fasziniert wie vor fast 50 Jahren.

Seine Geschichte, oft erzählt, begann als Caddie im Golfclub Augsburg-Burgwalden. „Als mein Bruder 13 oder 14 war, fuhr er mit dem Fahrrad zu unserem Golfplatz, um da ein paar Mark zu verdienen“, erinnerte sich der inzwischen 62jährige Langer vor einigen Jahren. „Ich war damals neun und ziemlich überrascht als er mit ein paar Mark nach Hause kam.“ Der kleine Bernhard, der zu Hause wie die anderen zwei Geschwister nie verwöhnt wurde, weil der Vater als Maurer und die Mutter als Bedienung nur wenig verdienten, nahm den gleichen Job an. Aus seiner ersten Motivation zum Golf, dem Geldverdienen, wurde eine Besessenheit, die bis heute hält. Wie der Junge, der sich mit seinem Bruder zuerst ein Holz, zwei Eisen und einen Putter teilen musste und trotzdem sein Spiel auf Spitzenniveau brachte, kann auch der alternde Profi Langer noch scheinbar endlos an den Faktoren seines Spiels drehen, um am Ende zu einem perfekten Ergebnis zu kommen.

Bei den US Masters 2016 erschien Langer mit einem Stapel Putter im Gepäck. Kurze und lange Schäfte, dicke und dünne Griffe, alles bunt gemischt.  „Ich habe seit Beginn des Jahres etwa 25 bis 30 Stück ausprobiert“ lautete seine wie immer unaufgeregte Erklärung. Sein Caddie schleppte stets mehrere Exemplare im Bag über die Proberunden. Langer hatte Handlungsbedarf, nachdem die Regeloffiziellen des Golfsports die Ausrüstungs-Voraussetzungen beim Putten änderten. Die sogenannten Besenstil-Putter mit langem Griff, die auch Langer seit langem benutzt, dürfen nicht mehr am Körper verankert werden.

Probleme wie dieses fordern den Analytiker Langer heraus. Kollegen wie der Australier Adam Scott, die vom gleichen Problem betroffen waren, sind zu einem kurzen Putter gewechselt. Langer hat wie so häufig eine sehr eigene Lösung gefunden. Am Ende spielte er in Augusta bei den Masters mit einem langen Besenstil-Putter – er hielt den Griff aber ein kleines Stückchen vom Oberkörper entfernt. Die Methode war seltsam, aber regelkonform und effizient. Am Finalsonntag hatte er sogar Chancen auf den Sieg – als 58jähriger hätte er damit alle Alters-Rekorde gebrochen.

In seiner eigenen Altersklasse spielt der Deutsche inzwischen längst in einer eigenen Kategorie. Sein Sieg bei der Cologuard Classic am Wochenende bedeutet seinen 41. Turniererfolg auf der Seniorentour in den USA. Wie selbstverständlich führt er die Geldrangliste wieder einmal an. Seine Kollegen nehmen die Übermacht des Deutschen nur noch bewundernd hin. Der Amerikaner Oline Brown kennt seinen Spielpartner inzwischen in allen Details:. „Er ist so fit wie eh und je. Er ist ein Kerl, der das Thema Platzstrategie beherrscht wie kein anderer. Er weigert sich auch nur ein paar Zentimeter vor dem Gegner zurückzuweichen. Er misst den Platz besser aus als jeder andere. Er spielt seine Stärken aus, und er ist hartnäckig.“

Weitsichtig wäre wohl der Begriff, den Bernhard Langer selbst wählen würde. Als er selbst schon als 30jähriger die Abende nach der Turnierrunde im Fitnessraum der Hotels verbrachte, versammelte sich ein Großteil der Kollegen an der Bar. Der Begriff „Super-food“ war noch nicht existent, da kannte Langer die Nähr- und Fettwerte der Lebensmittel schon in- und auswendig. Elektronische Entfernungsmesser für Golfplätze waren noch nicht erfunden, so mancher Profi spielte die Löcher lieber nach Gefühl als nach exakter Länge, da verlangte der Deutsche von seinem Caddie vor jedem Turnier metergenaue Skizzen von Grüns, Bunkern und relevanten Hindernissen. Der Begriff Zufall spielt in der Arbeitswelt des Bernhard Langer nicht wirklich eine Rolle. Sein Erfolg basiert zu einem wesentlichen Teil, darauf, dass er alle Faktoren seines Spiels so weit wie möglich selbst bestimmt.

„Ich würde Entscheidungen niemals den Spielern überlassen“, erklärte er zum Beispiel sein Erfolgsrezept als Ryder Cup-Kapitän. 2004 gelang ihm beim Ryder Cup in Detroit als Kapitän Europas mit 18,5 zu 9,5 der bis dato höchste Sieg aller Zeiten. Es war ein Erfolg, der auch darauf basierte, dass der Stratege Langer es schaffte, seine zwölf Mannen wie an der Schnur durch die Gegend zu dirigieren und ihnen gleichzeitig das Gefühl zu geben, sie seien selbstbestimmt. „Man muss sich im Klaren sein, dass es zwölf Individualisten sind, die alle ein gewisses Ego haben“, erklärt er das Prinzip in Ruhe. „Die will man nun innerhalb von wenigen Tagen zu einem Team machen und außerdem bei Laune halten. Schließlich gibt es ja immer Spieler, die etwas aussetzen müssen. Das Warum muss man diesen dann so erklären, dass sie, wenn sie dann endlich dran sind, immer noch 100 Prozent geben.“

Manchmal allerdings gleiten selbst ihm die Dinge aus der Hand. Zweimal im Verlauf seiner Karriere musste er Yips bekämpfen. Das unkontrollierbare Zucken der kleinen Handmuskeln macht jeden Meter-Putt zum Vabanque-Spiel, jede Runde zur Lotterie. Mit der Entwicklung des Krallen-Griffs beim ersten Mal, dem Wechsel zum Besenstil-Putter in den vergangenen Jahren hat er am Ende die Probleme bewältigt. „Man weiß nicht wie lange es dauert. Manchmal kann es Monate anhalten“, beschrieb er den Zustand  im vergangenen Jahr.“

Krisen im Sport sind eben allgegenwärtig. Manche Situationen ruinieren ganze Karrieren. Bernhard Langer hat seinen schlimmsten Fall 1991 am 18. Grün des Ocean Courses von Kiawah Island erlebt.

Es war der Schlusstag des Ryder Cups. Eine Runde vollgepackt mit Emotionen. Im letzten Match am letzten Loch fiel die Entscheidung.  Gegen dem Amerikaner Hale Irwin hätte Langer mit einem verwandelten kurzen Putt aus weniger als eineinhalb Metern den Sieg Europas sichern können. Der Ball aber lief am Loch vorbei. Langer sank schmerzverzerrt in die Knie – Millionen Menschen an den Fernsehern weltweit erlebten sein Desaster.

„Es wäre ja einfach zu sagen, warum hat Gott mir bei diesem Putt nicht geholfen?“, erklärt er in einem CNN-Interview Jahre danach mit einem ruhigen Lächeln. Manch‘ andere Karriere wäre an diesem Putt gescheitert – Langer hat sie vielleicht deshalb überstanden, weil er sich als gläubiger Christ versteht. Auch wenn er damals ein wenig mit seinem Glauben gehadert hat: „Es gibt Phasen im Leben, da fühlt man sich näher zu Gott hingezogen oder der Glaube wird erschüttert. Das war sicherlich so eine Situation.“

Der Deutsche hat kein Problem damit über seinen Glauben zu sprechen. Im Gegenteil, ist einer jener Profis, die regelmäßig zu den Bibelkreisen während der Turniere kommen, gehört zum Kuratorium von Pro Christ, die sich als überkonfessionelle Evangelisationsbewegung versteht. 1985, drei Tage nach seinem ersten Masters-Sieg, hat er den Glauben in einem Bibelkreis, zu dem ihn der Kollege Bobby Clampett einlud, für sich entdeckt. „Als ich mich dafür entschieden habe, wurde das zu einem großen Teil meines Lebens: wie ich Menschen behandle, wie ich die Welt betrachte oder die Politik. Es beeinflusst alles.“

In den USA, wo er lebt und die meiste Zeit arbeitet, wird über seine Religiösität weit mehr gesprochen als hierzulande. Langer, für viele Fans der ultimative Golfer und weit mehr ein Superstar als in  Deutschland, ist in seiner Beharrlichkeit und Geduld vielleicht auch nur zu verstehen, wenn man seine Verankerung im Glauben berücksichtigt. „Wir sind da draußen und die Uhr tickt. Wir versuchen, das Beste daraus zu machen“, versucht er den jetzigen Punkt seiner Karriere zu erklären. „Ich liebe Golf. Ich liebe den Wettbewerb. Ich bin zum Glück gesund, habe eine ordentliche Technik und einen soliden Kopf.“ Das ist perfekt so, aber es muss nicht auf Dauer so bleiben: „Im Hinblick auf meinen Glauben kann es gut sein, dass ich morgen alles zusammenpacke und etwas ganz Anderes tue, wenn mein Gott das von mir will. Im Moment ruft er mich aber da raus, damit ich Golf spiele.“ Welch‘ ein Glück für diesen Sport.