Irrwitz oder richtiger Protest: Die Golfszene sucht nach Orientierung

Im großen Kochtopf namens Golfszene brodelt es. Der Deckel hebt sich. Das Wasser kocht über – fast. Weit mehr als noch vor Beginn des Lockdowns wird die Gefühlslage unklar – und die Entscheidung, was richtig und was falsch, wird offenbar für den Einzelnen immer schwerer.

Die Orientierung fehlt. Eindeutig.

Am Sontag Abend ereilte mich die Anfrage eines Facebook-Freundes, ob ich nicht am Montag zu einer ersten Golfrunde in Rheinland Pfalz starten wolle. 10.30 Uhr Teetime, laut Google Maps 4 Stunden 14 Minuten Fahrzeit von meinem bayerischen Gauting entfernt. Ich lehnte ab, um am Montag in einer meiner Whatsapp Gruppen die Nachricht eines Golf-fanatischen Bekannten zu lesen, der sich über die Landesgrenzen von Nordrhein Westfalen nach Schleswig Holstein durchgeschlagen hatte, um seine erste Runde zu spielen. Beim Lesen der Nachricht hatte ich den Eindruck, er wäre ohne diese Runde durchgedreht oder erstickt. Eines von beiden auf jeden Fall.

Dann die Telefonate am Dienstag mit Berlinern. Die Teetimes für Plätze in Brandenburg waren für die ganze Woche im Windeseile weg. Die Vorfreude auf die erste Runde hielt sich die Waage mit der Enttäuschung, dass man nur eine Startzeit ergattert hatte. „Mehr als eine Runde bekommst Du sowieso nicht“, sagte eine Freundin. Sie klang frustriert. Und: Wir waren uns einig, dass es bald Nahkampf geben könnte in den Clubs, um Startzeiten. Weil Menschen ihre Jahresgebühren abspielen wollen. Jetzt sofort.

Der Verbandsoffizielle, den ich kurze Zeit später an der Strippe hatte, klang verunsichert. Gerade war die große Abstimmungsrunde aller Landesverbände, des DGV, der PGA, des GMVD und des BVGA zu einem gemeinsamen Sicherheitskonzept für Golfanlagen zu Ende gegangen. Die Hoffnung: ein System für alle Golfclubs, damit sich nicht jede Golfanlage einzeln mit der jeweiligen Kommune auseinandersetzen muss. Ob das Konzept wirken wird – die Gespräche mit den Ministerien der nächsten Tage werden es zeigen.

Ein Weilchen später das nächste Telefonat. Eine Arbeitskollegin – Golferin, aber nicht ganz so fanatisch. Sie wollte wissen, was mit meinem Jahresbeitrag im Golfclub nun passiere….sie habe zum Glück ja nur 70 Euro Beitrag im Fitnessstudio „in den Sand gesetzt“ und dann gekündigt. Aber ich….

Als ich am frühen Abend in zwei weitere Whatsapp Gruppen blicke, finde ich allein drei geteilte Briefe von Juristen, die ans Bayerische Staatsministerium des Inneren geschrieben haben, um für eine Öffnung der Golfplätze zu plädieren – wer glaubt eigentlich, dort habe irgendjemand derzeit Zeit sich mit dem Gefühlsleben eines einzigen Golfers auseinanderzusetzen? Dies, man muss es ganz deutlich sagen, ist die Zeit der Verbände. Wir können und sollten uns bei ihnen bemerkbar machen, sie sind unser alle Sprachrohr. Jetzt sind sie dran.

Den internationalen Flair bringt der Newsletter meines Clubs in Georgia/USA. Es wird fleißig weiter gegolft, aber die Getränkecarts sind gestrichen. Dafür gibt es im Takeaway offenbar ein neues Steak-Menü: Sein Name: „Be strong“.

Abends um 21 Uhr bin ich gerädert von all‘ den Golfnews, weiß kaum noch, was ich richtig finden soll und was falsch. Was ich ganz sicher weiß, ist, dass sich die Bedeutung meines privaten Golfspiels in letzter Zeit massiv relativiert hat – ganz einfach deshalb, weil mein Berufsstand, der Sportjournalismus, zwecks nicht stattfindenden Sportes erst einmal ein wirtschaftliches Problem hat. Es gibt den Berufsstand Golf mit Golflehrern, Greenkeepern, Gastronomen usw. – und es gibt das Hobby Golf.

Ich liebe mein Hobby Golf – aber es ist ein Hobby.

Soll ich mit den Füßen scharren, mich ins Auto setzen und mit 200 kmh ins nächste Bundesland zum Golfen fahren? Soll ich an die Bundeskanzlerin schreiben, ihr einen Golfball mit Wut-Grimasse schicken oder mich in zwei Wochen im Club um eine Teetime schlagen – wohl kaum.

Ehrlich gesagt verstehe ich vieles nicht mehr. Golf ist toll. Aber irgendwie fängt die Lage an irrwitzig zu werden.