EDS-Runde: Das flexible Korrektiv des Handicaps
100prozentige Gerechtigkeit existiert nicht. Weil das auch für den Golfsport gilt, gibt es den Extra Day Score, kurz EDS-Runde genannt. Die letzte Bastion aller Handicap-Puristen, das Verbot von EDS-Runden für Golfer bis Handicap -4,4, war coronabedingt schon 2020 gefallen. Im neuen World Handicap System steht die EDS-Runde nun ohnehin allen deutschen Golfern offen.
Von kleinen Fehlern, die man übersehen kann
Wer an die Wahrheit von Handicaps glaubt, hat die vielfältigen Möglichkeiten der EDS-Runde noch nicht durchschaut. Der Extra Day Score ist das Mittel schlechthin, um das eigene Handicap beliebig ins Positive oder Negative zu drücken. Vorausgesetzt, man hat die richtigen Mitspieler dabei. Dabei geht es bei weitem nicht um die wahrscheinlich wenigen Fälle von Golfern, die sich mit einem Buddy auf die Runde begeben, um explizit im großen Stil zu betrügen. Es geht um die geschenkten Ein-Meter-Putts, den übersehenen Aus-Ball und den Mulligan an der Eins. Um den Birdie-Putt, der eigentlich auslippte, aber dann doch als Birdie gezählt wurde, weil er zu 95% im Loch war; den bewegten Ball im Bunker und das Betreten des Biotops. All‘ die scheinbar kleinen Fehler, die im Turnier den Score versauen und bei der EDS-Runde auch als Kavaliersdelikt herhalten könnten.
Am Ende bleibt jedem Golfer selbst die Entscheidung, wie er mit seinem Handicap, Turnieren und EDS-Runden verfahren will. Wenn wir über die riesige Mehrzahl der Golfer sprechen, die sich ohnehin nur spaßeshalber mit Golf ihre Zeit vertreiben, könnte man auch sagen „was soll’s, sie richten ja kaum echten Schaden an“.
Im Wettbewerb um Startplätze ist die Versuchung manchmal groß
Schwieriger wird es, wenn wir in den Jugend-, in den Kader- in den ambitionierten Amateurbereich blicken. Dorthin, wo Team- oder Kaderzugehörigkeit, die Nominierung für eine Auswahlmannschaft oder für ein internationales Turnier vom Handicap oder gewerteten Ergebnissen abhängig gemacht wird. Wenn dort plötzlich zwei erstklassige EDS-Runden in der Statistik eines Spielers auftauchen und die Entscheidung beeinflussen, ist die Lage heikel. Denn um ehrlich zu sein: Dass eine klassische Turnierrunde auf einem fremden Platz bei einem landesweiten Turnier schlichtweg nicht vergleichbar ist mit einer komfortablen EDS-Runde mit zwei Freundinnen auf dem Heimatplatz, ist klar.
Handicap-Grenzen bei großen deutschen oder internationalen Turnieren sind die Regel. Angesichts der Vielzahl von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die in die Felder drängen, liegt die Versuchung nahe, dem Handicap noch schnell den richtigen Schliff zu verleihen. Eine Versuchung, vor der übrigens auch Verbände manchmal offenbar nicht gefeit sind: Die Qualifikation für die wichtigsten internationalen Turniere hängt meist von der Positition in der Amateur-Weltrangliste ab. Eine schlechte Runde, so erzählte mir im vergangenen Herbst das Vorstandsmitglied eines EU-Golf-Verbandes bei einer Golfrunde, müsse man aus den Ergebnissen einer Spitzenamateurin noch irgendwie löschen, damit sie den Sprung ins Feld eines wichtigen amerikanischen Turnieres schaffe. Man suche gerade noch nach den passenden Wegen.
Das ist nicht die Regel, zum Glück. Aber das Biegen des Handicaps ist seit Jahrzehnten weltweiter Brauch. Mit der Vereinheitlichung des World Handicap Systems und der Erlaubnis von EDS-Runden im Bereich der niedrigsten Handicaps ist dieses Verbiegen jetzt noch ein Stück einfacher geworden. Das ist kein Grund zum Aufregen – nur Illusionen über die Wahrhaftigkeit von Handicaps sollte man sich nicht machen.