Der Wutgolfer gerät außer Rand und Band

Vielleicht ist es an der Zeit, den Briten in uns zu entdecken. Diesen leicht unterkühlten, reservierten Golfer, der so sehr auf ein wenig Distanz aus ist, auf die Etikette in diesem Spiel.

Um ehrlich zu sein, wollten wir die Etikette in den letzten Jahren ja gerne etwas über den Bug werfen, weil sie ein wenig hinderlich schien bei der Verbreitung des Golfsports. Sportlich wollten wir werden, umgänglich, populär eben. Ewige altertümliche Benimmregeln schienen eher hinderlich.
Seit ein paar Tagen drängt sich der Eindruck auf, dass wir über eine Beibehaltung von etwas mehr Etikette vielleicht doch noch mal nachdenken sollten. Der Golfsport droht an manchen Ecken und Enden völlig das Maß zu verlieren – und die Besinnung.

Auf Social Media-Portalen feiert sich der eine oder andere Golfer als Anhänger der Anarchie – frei nach dem Motto, was jucken mich die Staatsvorgaben. Ich will, was ich will. Anhänger anderer Ansichten werden gerne ein wenig beschimpft – schriftlich und spontan auf dem Handy geht so etwas ja immer ganz leicht.
Präsidenten von Golfclubs liebäugelten mit der scheinbar cleveren Idee, auf ihrem eigentlich gesperrten Platz zu spielen, sich anschließend selbst anzuzeigen und dann mal einen richtig ordentlichen Prozess gegen welches Ministerium auch immer zu führen. Hauptsache man wird mal aktiv und es kracht so richtig.
Bei Landesverbänden trudelten zunehmend aggressive Briefe von Golfern ein, die nach Sammelklagen rufen, nach Protest, nach Widerstand, nach Revolte.
Plötzlich fanden Clubbetreiber wie Dr. Hingerl am Bergkramerhof in Oberbayern, die seit mehr als einem Jahrzehnt in Golf-Deutschland immer wieder für Negativ-Publicity sorgen, eine überraschend große Schar von Anhängern für eine Öffnung der Golfanlage, die eigentlich aberwitzig war.
Und in grenznahen deutschen Clubs, die über viele Schweizer Mitglieder verfügen, fordern die Schweizer Präsidiumsmitglieder dieser Anlagen zum Teil ernsthaft, die Verbände in der Schweiz und in Baden Württemberg sollten sich doch bei den Behörden in Bern und in Stuttgart mal dafür stark machen, dass die Schweizer Mitglieder der deutschen Clubs problemlos für 18 Löcher über die Grenze fahren können – dass selbst der Warenverkehr zwischen den zwei Ländern noch nicht klappt, ist ihnen irgendwie entgangen. Jetzt, wo die Plätze doch endlich am Montag alle öffnen, sorgt eine Grenzschließung für die Behinderung von Hoobysportlern. Unerträglich! Nicht akzeptierbar!

Um ehrlich zu sein, auch auf die Gefahr hin, dass auch mich jetzt wieder ein Shit-Sturm auf Social Media einholt – das Ganze wird unsympathisch und absurd. Zunehmender Realitätsverlust einer Gruppe, die offenbar keine wirklichen Probleme hat, wäre eine Diagnose, die man als Außenseiter stellen könnte.
Es wird Zeit, dass wir am Montag in dieser – ich kann den Begriff schon nicht mehr hören –„neuen Normalität“ ankommen, in der endlich alle wieder auf den Golfplatz kommen, bevor sich die Aggressivität noch mehr Raum schafft und wir gänzlich die Übersicht verlieren.
Ich habe keine Lust mehr auf Corona-Kolumnen, weil sie seit Wochen negativ sind. Ich würde sie gerne schreiben, wenn sie sich zum Beispiel damit beschäftigen würden, was wir Golfer in den letzten Wochen denn so für die Bevölkerungsschichten auf die Beine gestellt haben, denen es jetzt und in den nächsten Monaten wirklich schlecht geht. Themenvorschläge nehme ich gerne entgegen.

Bis dahin, viel Spaß bei den nächsten Runden. Golf soll ja entspannend sein. Das brauchen wir dringend.