Die Corona-Krise trifft den Sport hart – und die European Tour wankt

Damals, 1998, als die Profis bei der German Open auf dem Faldo-Platz am Scharmützelsee antraten, wartete eine großer Reisebus am Flughafen Schönefeld. Damit fuhren alle gemeinsam um Nick-Faldo-Platz – die Spieler, die Caddies, die Journalisten. Zwei Jahrzehnte später hat sich die Lage gewandelt: Statt Bussen steht der Limousinen-Service für die Profis bereit. „Heute wartet ein Spieler noch nicht einmal mehr fünf Minuten auf einen anderen Profi, damit sie gemeinsam in einem Auto fahren“, sagt einer jener Insider, der die European Tour seit Jahrzehnten kennt, WELT AM SONNTAG. Der Golf-Circuit ist selbst für jene höchst exklusiv geworden, die nur auf den hinteren Rängen spielen. Das allerdings wird sich nun wahrscheinlich ändern: Die Luxus-Behandlung für den Durchschnittsprofi ist stark gefährdet.
Seinen ersten Brandbrief zur Lage der PGA European Tour, nach der PGA Tour die zweitgrößte Golfserie der Welt, hat Geschäftsführer Keith Pelley schon zu Beginn der Corona-Krise an Spieler und Offizielle versandt. „Tatsache ist, dass die Pandemie einen tiefgehenden finanziellen Einfluss auf die Tour und viele ihrer Partner im Sponsoring und im Mediabereich haben wird. Wir versuchen alles, um diese Situation zu überstehen, aber Sie sollten darauf gefasst sein, dass der Spielplan 2021 deutlich anders aussehen wird als 2018 oder 2019.“ Im Klartext: Weniger Turniere mit geringerem Preisgeld könnten zur vielzitierten neuen Normalität im Profigolf werden. Schuld an der Finanzmisere sind allerdings nicht allein Corona und der komplette Stopp des globalen Spielbetriebs. „Im Moment spart die European Tour an jedem Cent“, sagt der Insider.
Der Kanadier Keith Pelley ist ein Mann ein brillanter Promoter dieses Sports, der dem leicht verstaubten britischen Betrieb der European Tour mit seiner Amtsübernahme im Jahr 2015 auf ziemlich fixe Weise die Welt des Marketing nahebrachte. Social Media wurde ein Thema, teure Video-Produktionen zum Erfolg. Sergio Garcia, Ian Poulter, Justin Rose – sie alle dienten als Models für Kampagnen zur Auffrischung des Images des Profisports. Dazu kamen neue Vermarktungsideen wie GolfSixes, ein Turnier, bei dem Frauen und Männer gemeinsam antraten – ebenfalls ein Projekt, das von allen Seiten als wegweisend beklatscht wurde. Nur: Unter dem Strich betrachtet war der Beifall für die längst anstehende Modernisierung groß, der finanzielle Ertrag aber gering. Hinzu kam die Neugestaltung der Website für mehr als eine Million Pfund, die keine Erlöse brachte.
Das alles geschah zwischen 2015 und der Corona-Krise und führte laut einem Artikel der „Times of London“ dazu, dass die Rücklagen der European Tour rapide dahinschmolzen. Der operative Verlust der European Tour lag in dem Jahr bei 11,9 Millionen Pfund, die Cash-Reserven waren auf 9,6 Millionen Pfund geschrumpft. Bei Pelleys Vorgänger George O’Grady hatte sie Ende 2014 angeblich noch bei 25 Millionen Euro gelegen.
Expansion kostet, aber sein Ziel der Vergrößerung der Tour verfolgte Keith Pelley entschlossen – auch um gegen die finanzstarke PGA Tour in Amerika zu bestehen, die 2019 trotzdem doppelt so viel Preisgeld ausschüttete wie die European Tour. 2016 konnte Pelley die Uhrenmarke Rolex als Sponsor der Rolex-Series gewinnen, die 2020 theoretisch aus acht Turnieren mit einem Preisgeld von jeweils mindestens sieben Millionen Dollar bestanden hätte. Er erhöhte die Anzahl der Turniere 2019 auf 48 Events in 31 verschiedenen Ländern. Die European Tour trat dabei zunehmend selbst als Veranstalter auf, zum Beispiel auch bei der Porsche European Open in Hamburg. Der reine Umsatz wuchs insgesamt von 191 Millionen Euro 2015 auf 421,4 Millionen Euro 2019.
Jetzt, in der Krise, fehlt Pelley allerdings eine gut gefüllte Kriegskasse, wie sie sein Gegenüber in Amerika, die PGA Tour, besitzt. Von einem Pensions- und Unterstützungsfonds, wie man ihn dort über Jahre aufgebaut hat, kann er nur träumen. Jay Monahan, der Geschäftsführer der PGA Tour, hat außerdem erst zu Beginn des Jahres einen neuen TV-Deal mit den US-Fernsehgiganten CBS Sports, NBC Sport und ESPN abgeschlossen, der bis ins Jahr 2030 läuft und laut Aussagen von Tour-Offiziellen 60 Prozent über dem bisherigen Vertrag liegen soll. US Magazine haben hochgerechnet, dass die Einnahmen von 400 Millionen auf 700 Millionen US Dollar steigen. Jay Monahan und seine PGA Tour, so kann man es wohl ausdrücken, haben in der Corona-Krise nur begrenzten finanziellen Druck. „Wenn man sich die Probleme der European Tour ansieht und dann die PGA Tour hört, die sagt, dass sie eine Million Testsets für 100 Dollar das Stück bestellt haben, dann bekommt man eine Ahnung davon, wo der Unterschied zwischen den beiden Touren liegt“, meinte Chubby Chandler, einer der etabliertesten Spielervermarkter in der Szene, diese Woche gegenüber dem Online-Dienst „Global Golf Post“.
Nun ist die European Tour das stetige Bergauf und Bergab der Finanzen seit Jahrzehnten gewohnt. Das finanzielle Wohl von Europas Profigolf hängt stetig an der Cashcow des Betriebs, dem Ryder Cup. Von den Einnahmen des Events, das in diesem Jahr vom 25. bis zum 28. September im amerikanischen Whistling Straits im Staate Wisconsin stattfinden soll, lebt die European Tour immer zwei Jahre – im Jahr des Ryder Cups macht sie ein Plus, im Jahr danach ein Minus.
Mit der Corona-Krise ist der Millionen-Ertrag des Ryder Cups im Jahr 2020 akut gefährdet. Eine Entscheidung darüber, ob das Teamevent zwischen den USA und Europa überhaupt ausgetragen wird und ob Zuschauer vor Ort erlaubt sind, ist noch nicht gefallen. Ausgehend von der Tatsache, dass 2018 beim Ryder Cup in Paris 270.000 Fans vor Ort waren, scheint die Realisierung des Turniers mit Fans sehr unwahrscheinlich.
Die erste Reaktion der Spieler auf ein zuschauerloses Szenario war blanke Ablehnung. „Das wäre kein großes Spektakel, wir hätten da gar keine Atmosphäre“, ließ Europas Topmann Rory McIlroy wissen. Selbst Europas Ryder Cup-Kapitän Padraig Harrington meinte Anfang April „ein Ryder Cup ohne Fans ist kein Ryder Cup“, revidierte seine Einschätzung aber ein paar Tage danach, weil ihn die European Tour darauf hingewiesen hatte, dass die Einnahmen aus dem Event bereits fest im Budget verplant und überlebenswichtig seien. „Für viele Leute steht hier sehr viel auf dem Spiel“, gibt der Ire nun zu bedenken. „Wenn man es im großen Rahmen betrachtet, wäre es sinnvoll, beim Lockdown zu bleiben und keinen Kontakt zuzulassen. Aber wir wissen inzwischen, dass andere Dinge einfach passieren müssen, um die Wirtschaft zu retten. Wir müssen die finanzielle Seite berücksichtigen.“
Eine Entscheidung über einen Ablauf des Ryder Cups wird nicht in den nächsten Tagen erwartet. Was sich dafür häuft, sind konkrete Überlegungen, ob eine Globalisierung des Profigolfgeschäfts nicht für alle Beteiligten sinnvoll wäre, nachdem der Wachstumstrend der 1972 gegründeten European Tour zu einem abrupten Stillstand gekommen ist und ein massiver Einbruch droht.
Über eine Übernahme der Europäer durch die PGA Tour will niemand offen reden. Übernahme – das klingt so feindlich. Und das, wo sich Pelley und Monahan eigentlich gut verstehen. Über Beteiligungen und Kooperationen aber wird laut nachgedacht. Nachdem bei den Damen exakt dies bereits im November 2019 passiert ist, als die deutlich stärkere LPGA Tour der ewig schwächelnden Ladies European Tour finanziell unter die Arme griff und seitdem die Organisation der Veranstaltungen für die Damen mit koordiniert, fängt man auch bei den Herren an, sich mit dieser Konstellation anzufreunden.
Die Rede ist dabei viel von einer Rückkehr zum Kerngeschäft der European Tour – und damit eine Konzentration auf jene Turniere, die von April bis Ende September tatsächlich in Europa stattfinden. Ins Portfolio der PGA Tour würden vor allem die hochdotierten Turniere in Abu Dhabi und Dubai gut passen. Sollte die PGA Tour finanziell bei der European Tour einsteigen, wären daneben die acht Turniere der Rolex Serie auch für die besten amerikanischen Spieler interessant.
Am Ende ist es vor allem wieder der Ryder Cup, den die European Tour als Trumpf in der Hand hält. Die PGA Tour nämlich verdient im Moment nichts an dem Spektakel, hier kassiert die PGA of America als Organisation der Golflehrer der USA. Als Teilhaber der European Tour säße die PGA Tour bei den nächsten Verhandlungen über die Aufteilung der Ryder Cup Einnahmen mit am Tisch und könnte selbst einen Anteil ergattern.
Ein Häppchen Ryder Cup, Startrechte für PGA Tour-Spieler bei den großen Turnieren Europas – beides macht für Jay Monahan eine Finanzspritze für die European Tour überlegenswert. Die ersten Gegner solcher Pläne sind in Europa in den letzten Tagen allerdings schon laut geworden. Colin Montgomerie, selbst Ryder Cup-Kapitän 2010, riet den Jungprofis Europas, die Ärmel hochzukrempeln, auf Limousinen-Service und sonstigen Schnickschnack zu verzichten und um weniger Preisgeld zu spielen. „Faldo, Langer und ihre Kollegen sind zu ihren besten Zeiten einfach in die Busse gestiegen und mit all‘ den anderen zwischen Hotel und Golfplatz hin- und hergefahren. Die haben sogar ihre eigenen Übungsbälle mitgebracht. Wenn der Reset-Knopf gedrückt wird, werden die Golfer das tun, was Golfer schon immer getan haben – sie werden sich anpassen,“ meinte Monty. Turniere gewinnen kann man schließlich auch ohne Limousinenservice.

Veröffentlicht in der Welt am Sonntag am 10.Mai 2020