Jon Rahm: Vom Heißsporn zum Siegertypen

Er wirkt entspannt, ganz locker. „Ich weiß, dass ich es in mir habe“, sagt Jon Rahm morgens um halb neun, als er die Runde der Interviews zum Start der diesjährigen PGA Championship beginnt. Vor weniger als zwei Wochen hat er nach seinem Sieg beim Memorial-Turnier die Spitze der Weltrangliste übernommen. Ein kurzer Moment des Höhenflugs, weil er die Top-Position inzwischen wieder an Justin Thomas abgegeben hat. Jetzt ist es an der Zeit, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die auf Dauer sind: Majorsieger schreiben Geschichte. In Spanien gibt es einige davon: Severiano Ballesteros, inzwischen verstorben, José Maria Olazábal und Sergio Garcia, mit dem er am Donnerstag und Freitag die ersten Runden spielen wird. Jon Rahm fehlt der erste große Titel noch.

Im Schnelldurchlauf an die Spitze

Er ist anders – kein typischer Spanier. Kein Ballkünstler, Schlagverliebter, kein Exzentriker zwischen Fairways und Grün. Deshalb hat er mit den anderen spanischen Golfhelden eigentlich wenig gemein. Jon Rahm ist ein stämmiger Typ, ein dominanter Golfer vom Abschlag weg. Auf jeden Fall aber ist er ein Ausnahmespieler: Mit gerade einmal 25 Jahren ist er zwar nicht so jung wie Tiger Woods (21), Jordan Spieth (22) oder Rory McIlroy (22), trotzdem zählt er zu den Jüngeren in der Gruppe der gerade einmal 24 Golfer, die es an die Spitzenposition der Weltrangliste schafften.

Der Spurt an die Weltranglistenspitze war abzusehen. Er begann im Juni 2016, als Rahm ins Profilager wechselte, innerhalb von 22 Monaten fünf Siege einfuhr und unter den Top 5 der Welt landete. Der Shooting-Star war zu diesem Zeitpunkt bereits beeindruckend komplett: Talent im Übermaß, die Fähigkeit auch unter Druck eine Aufgabe durchzuziehen, dazu ein Schlagpotential, das vom Putt bis zum Drive perfekt erschien.

Seine einzige Schwäche blieb sein Temperament. Jon Rahm lief oftmals heiß wie ein Stier in der Arena, verlor die Beherrschung. Er sei wie eine Mineralwasserflasche, die nach dem Schütteln explodiere, bekannte er nach der US Open in Erin Hills 2017, bei der er fluchte, Schläger schmiss und auf Markierungen eindrosch.

Ein Rohdiamant, den man schleifen musste

Er musste Demut lernen und Geduld – für jemanden, der aus dem Nichts zum Star avancierte, ein hartes Brot. Als der 17jährige Spanier 2012 am Flughafen Tempe ausstieg, um für die Sun Devils der Universität Arizona State University in den USA zu spielen, war er ein Rohdiamant, der geschliffen werden musste. Sein Englisch war miserabel. „Ich bin zu meinem Assistenten gegangen und habe zu ihm gesagt „ich glaube der Junge wird es hier nicht schaffen“, erinnerte sich sein College-Coach Tim Mickelson später. „Ich dachte, er sei einer der Jungs, die nach einem Semester oder Jahr nach Hause fahren“, erklärte er einem Reporter von Golf Digest. „Ich war total verloren“, bekannte Rahm selbst.

Drei Jahre später war er zum Star der College-Szene avanciert, wurde zur Nummer eins der Amateurweltrangliste und galt als eines der begehrtesten Nachwuchstalente im Golf. Und: Rahm war längst ein halber Amerikaner geworden, holte College-Titel in Serie. Er hatte Kelley kennengelernt, eine Studentenliebe. 2019 heirateten sie. Phoenix in Arizona wurde zu seiner neuen Heimat.

Das 25jährige Vollblut-Spieler ist eben inzwischen zur Ruhe gekommen, die Basis seines jüngsten Erfolgs. Joseba del Carmen, sein Coach, hat Rahms Emotionen geglättet. „Man braucht bei ihm ein Auslassventil, und das muss man zum Einsatz bringen“, erklärt der Spanier seine Methodik. Einen anderen Menschen aber will er aus Rahm nicht formen. „Seine Emotionen haben ihn zu dem gemacht, was er ist.“

Sein Vorteil: Keiner lernt so schnell wie er aus Fehlern

Der Unterschied zwischen den verpassten Erfolgen der letzten Jahre und dem Sieg vom Sonntag aber mag darin liegen, dass Rahm inzwischen gelernt hat, seine eigenen Fehler zu sehen. „Leider gehöre ich zu jenen Menschen, die nur aus Fehlern lernen. Manchmal benehme ich mich bescheuert, manchmal nicht. Ich mache das und lerne dann daraus, aus guten wie aus schlechten Sachen.“

Wie gesagt: Am Dienstag bei der Pressekonferenz wirkt er erst einmal entspannt. Er ist gerade angekommen, hat bis dato nur das Putting- und Chipping-Grün gesehen. Der Nebel hängt über der Anlage von TPC Harding Park. Es ist eher ungemütlich, aber Jon Rahm fühlt sich wie daheim. „Zuhause in Spanien, wo ich aufgewachsen bin, ist es oft ähnlich“, sagt er. Dass er diese Woche wieder einmal ohne Zuschauer spielen wird, stört ihn nicht. Er hat sich in den letzten Wochen an die Ruhe auf dem Golfplatz gewöhnt. Gut möglich, dass sie ihm diese Woche hilft. Er will gewinnen – und sich auf keinen Fall „bescheuert“ benehmen.

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