Das Anfänger-Dilemma: Spielspaß oder Marathon
Das Pärchen schimpft. Sie sind erzürnt. Fünf Bälle weg auf neun Löchern, verschwunden im Rough, welches den gelben vom blauen sowie den roten vom orangen Abschlag trennt. „Unfreundlich sei das“, moniert das weibliche Neumitglied. „Immer wird nur an die sportlichen Spieler gedacht.“ Sie selbst toppt den Ball nun mal häufiger nur ein paar Meter weit, nachdem sie erst acht Wochen spielt. Und die hübsch anzusehenden Rough-Umfelder rund um den roten Abschlag haben ihr seit ihrer Platzreife-Prüfung vor siebeneinhalb Wochen schon mehrfach den Rest gegeben. „Alle Clubs wollen Einsteiger, aber die Plätze sind viel zu schwer“, stimmt ihr Gatte in das Lamento ein.
Welcher Platz passt? Mit Handicap -54 ist kurz und leicht gefragt
Was ist passiert? Unser Pärchen ist in gewisser Weise ein Paradebeispiel für ein Dilemma, mit dem viele angestammte Golfanlagen kämpfen: Wo einst Einsteiger nach einer Platzreifeprüfung meist über Handicap 36 oder ein vernünftiges Spielvermögen verfügten, entlässt die Golfeinsteiger-Industrie inzwischen hauptsächlich Beginner auf den Platz, die ihr neues Lieblingshobby gerade einmal erst in Ansätzen kennengelernt haben und kaum beherrschen. Mit -54 ausgestattet ziehen sie los, die Plätze zu erobern – dabei sind ein Großteil aller deutschen Golfanlagen eben nicht klassische Einsteigerplätze sondern normale Clubanlagen für jede Spielklasse. Und nur die wenigsten Clubs verfügen über gute Par 3-Plätze als Alternative. Weil die Abschläge farblich in der Regel den Geschlechtern zugeordnet sind, stellt sich nahezu jeder erwachsene Anfänger/Anfängerin auf Tee gelb und rot.
Kein Spielfluß und viel Frust
Das Problem dabei: In den meisten Fällen passt er/sie da nicht hin. Blau für die Herren, orange für die Damen wäre wohl die richtige Option – schon um mehr Spielspaß zu generieren, den Spielfluss zu verbessern und das ewige Suchen in den durchaus sinnvollen Roughflächen zwischen den Abschlägen zu verhindern. Die nämlich sehen nicht nur gut aus, sondern verhindern den Mähaufwand erheblich und sind – um mal ehrlich zu sein – für einen Normalgolfer mit Durchschnittshandicap auch kein Problem.
Wer sich umhört bei Clubmanagern, Greenkeepern oder Sportwarten bekommt häufig aber eine andere Lösung serviert: Runter mit dem Rough, wo immer es geht auf dem Platz; freie Bahn für alle Anfänger, damit man den Neuinteressenten nur ja nicht vergrault. Was der etablierte Golfer oder der Greenkeeper dazu sagt, spielt oftmals keine Rolle.
Abschläge anders klassifizieren
Gender free-Tees wären wohl die Lösung, mit der sich so mancher Club befassen müssten. Eine, zum Beispiel in den USA, sehr häufig gewählte Variante. Sie bedeutet: Auch ältere oder schlechter spielende Männer können von vorderen Tees abschlagen, genauso wie Frauen von den oftmals als „Kindertees“ verrufenen orangefarbenen Tees. Die Klassifizierung der Abschläge erfolgt nach Spielstärke – und vom Starter oder dem Sekretariat wird der Anfänger eben auch darauf hingewiesen, dass der Drive vom vordersten Abschlag bei hohem Handicap vielleicht mehr Sinn macht.
Für den Einsteiger bedeutet das: Er hat ein sportliches Ziel, weil er sich mit mehr Spielfortschritt auf einen anderen Abschlag vorarbeiten kann. Für Senioren und Seniorinnen bedeutet das: Die Qual der langen Abschläge wird ihnen endlich genommen. Und auch die Besseren profitieren, weil sich die Verteilung der Golfer auf die richtigen Abschläge eben auch in mehr Spieltempo äußert.
Locker joggen statt Berlin-Marathon
Unser schimpfendes Pärchen will diesen Ansatz erst einmal nicht kapieren: Erst auf die Frage, ob sie bei ihrer ersten Wanderung auch gleich den Mont Blanc in Angriff genommen hätten, oder beim Joggen sofort zum Berlin-Marathon gemeldet hätten, werden sie nachdenklich. Über die Einsteiger-Route auf dem Golfplatz denken sie jetzt erst einmal nach.